Wie bereits im letzten Bericht erwähnt, befindet sich der Motor des Hubschraubers bei einem zertifizierten Überholungsbetrieb in England. Gemäß Lycoming SI-1009BD muss der Motor alle 12 Jahre oder 2200 Stunden überholt und inspiziert werden. Bei der vorliegenden Motorvariante handelt es sich um einen Boxermotor mit sechs Zylindern. Aus der Teilenummer IO-540-AE1E5 lässt sich sowohl erkennen, dass es sich hier um einen Einspritzer mit 540 in3 Hubraum handelt, was in etwa 8,8 Litern entspricht.
Obwohl dieser Motor durch seinen Hubraum ein enormes Drehmoment produzieren kann, ist er im Hinblick auf die Leistung auf 290 PS gedrosselt. Um die Grenzen der Hauptrotordrehzahl und der Belastung des Getriebes im Hinblick auf das Drehmoment nicht zu überschreiten, können hiervon jedoch nur 205 PS beim Normalflug und 245 PS während der Startphase genutzt werden. Da die Leistungsanzeige im Cockpit eines R44 in „inches“ dargestellt wird, lässt sich generell sagen, dass 1 inch in etwa 14 PS entspricht.
Der große Hubraum und somit auch das hohe Drehmoment sorgen für eine konstante Drehzahl bei Änderungen in der Leistungsanforderung. Bei einem Auto sorgt die Gangschaltung über ein Getriebe dafür, dass ein geringer Hubraum durch Übersetzungen immer ausreichend Leistung liefert. Bei einem Hubschrauber hingegen fehlt diese Option. Durch die stets gleichbleibende Übersetzung muss genügend Hubraum zur Verfügung stehen, um in allen Flugprofilen ausreichend Leistung liefern zu können, ohne dass die Drehzahl einbricht. Ein Einbrechen der Drehzahl würde eine Verringerung der Rotordrehzahl nach sich bringen und somit auch eine Verringerung des Auftriebs. Um diesem Entgegenzuwirken, erhöht der Pilot den Einstellwinkel der Blätter, was mehr Widerstand produziert und somit Leistung benötigt wird. Dies würde zu einem noch größeren Drehzahleinbruch führen. Es ist also offensichtlich, dass so eine Situation in eine gefährliche Spirale führen kann und deshalb unbedingt zu vermeiden ist.
Um die gewaltigen Anforderungen an das Triebwerk zu verdeutlichen, hier ein Fallbeispiel: Der Hubschrauber fliegt bei ISA-Bedingungen der Atmosphäre auf 4000ft MSL mit 60 Knoten Geschwindigkeit. Die Leistungsanzeige zeigt 16 inches. Durch eine unerwartete Situation muss der Pilot nun stark steigen. Folglich ändert er sehr zügig die Leistungen durch ziehen am Collective Stick auf die maximal zulässige Startleistung von etwa 22 inches. Somit muss der Motor innerhalb von etwa einer Sekunde knapp 80 PS mehr Leistung liefern, ohne dabei auch nur im Geringsten die Drehzahl zu verringern. Bei einem normalen PKW wäre dies ohne zurückschalten undenkbar.
Dieser große Hubraum ist jedoch auch der Grund für den hohen Spritverbrauch. Mit knapp einem Liter Flugbenzin pro Minute an Verbrauch reicht die Menge an ausfliegbarem Sprit von 176L für eine Flugzeit von maximal 3 Stunden. Bei dem benötigten Flugbenzin handelt es sich um Avgas 100LL. Die höhere Klopffestigkeit wird durch die höheren Verbrennungstemperaturen durch die Luftkühlung notwendig, um eine Klopfen des Motors zu verhindern. Das „LL“ steht für low lead und bedeutet, dass der Sprit mit einer kleinen Menge Blei versetzt ist, um eine innere Kühlung des Motors zu erreichen.
Der Überholer zerlegt den Motor, prüft die einzelnen Teile und tauscht beim Zusammenbau die vorgeschriebenen Komponenten (bspw. Dichtungen) aus. Sämtliche Arbeitsschritte werden im Overhaul Manual des Herstellers vorgeschrieben und der Überholungsbetrieb stellt für den überholten Motor ein EASA Form 1 aus, um die Lufttüchtigkeit zu bescheinigen.
Und so sieht der Motor aus: